…so kann es in Europa nicht weitergehen: Ja zum Euro, Ja zum Export. Nein zur Politischen Union. Das ist auf Dauer Unsinn. Frau Bundeskanzlerin, haben Sie Mut! Einen Sie Europa so, wie Helmut Kohl Deutschland geeint hat.
Sie gelten, liebe Frau Merkel, als uneitle Person. Aber so uneitel können Sie nicht sein, dass Ihnen ganz gleichgültig ist, was die Geschichte dereinst über Sie sagen wird. Oder die „Gechichte“, wie es im Pfälzisch Ihres Vorvorgängers hieß. Der hatte dafür eine gute Hand: Birne hin, Bimbes her – wir werden Helmut Kohl als Vater der deutschen Einheit und des Euro im Gedächtnis behalten. Als großen Grenzüberwinder. Wie sollen wir Sie im Gedächtnis behalten, Frau Merkel? Als die Kanzlerin, die der europäischen Integration den Garaus machte?
Im Moment rinnt Ihnen das Erbe Adenauers, de Gaulles, De Gasperis und Kohls durch die Finger. Ausgerechnet jetzt, da die Deutschen auf dem Kontinent so mächtig sind wie – man muss es leider in diesen Zusammenhang stellen – seit den Tagen des „Dritten Reichs“ nicht mehr.
Was könnten Sie nicht alles tun! Und was tun Sie alles nicht!
Erinnern Sie sich? Als die Europäische Union im Jahr 2003 zehn neue Mitglieder aufnahm, hieß es in der Erklärung von Athen: „Diese Union steht für unsere gemeinsame Entschlossenheit, der jahrhundertelangen Zerstrittenheit ein Ende zu setzen und die früheren Trennungslinien auf unserem Kontinent hinter uns zu lassen.“
Heute hat uns das nationale Ressentiment wieder eingeholt. Und Sie haben es zugelassen. Im Jahr 2011 schimpften Sie: „Es geht auch darum … dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen. … Wir können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig.“ Wussten Sie damals nicht, wie hart die Griechen schuften, um trotz der desolaten Lage ihres Landes über die Runden zu kommen? Die OECD hat ermittelt, dass die Griechen 2011 2039 Stunden pro Jahr arbeiteten – weit mehr als die Menschen in fast allen anderen verglichenen Staaten. In den USA kam man auf 1786 Stunden, in Italien auf 1772 – und in unserem lieben Deutschland, Frau Merkel, wurde nur 1405 Stunden pro Jahr gearbeitet.
Hat Ihnen der Grieche Tsipras von den Verheerungen erzählt, die Ihre Austeritätspolitik in seinem Land angerichtet hat? Die nominalen Bruttoeinkommen sind zwischen 2008 und 2012 um knapp 25 Prozent gefallen. Die Arbeitslosigkeit ist bis 2014 von 7,3 auf 26,6 Prozent gestiegen, bei Jugendlichen auf 44 Prozent. Und natürlich hat es die Schwachen wieder schlimmer erwischt als die Starken: die ärmsten Haushalte haben fast 86 Prozent ihres Einkommens verloren, die reichsten nur rund 20 Prozent. Die Steuerbelastung der unteren Einkommenshälfte ist um 337 Prozent gestiegen, die der oberen Hälfte um nur neun Prozent.
Volkswirtschaftlich vollkommen sinnlos
Der deutsche Gewerkschaftsökonom Gustav Horn sagt, die nüchternen Zahlen zeigten, wie Millionen Menschen in Griechenland „durch eine überharte und sozial völlig unausgewogene Austeritätspolitik wirtschaftlich abgestürzt sind.“ Das Schlimmste daran: Volkswirtschaftlich war das vollkommen sinnlos. Denn die Nachfrage im Land wurde derart reduziert, dass die griechische Wirtschaft noch lange brauchen wird, sich davon zu erholen.
Sie haben, liebe Frau Merkel, Griechenland verwüstet. Im Alleingang. Ich wundere mich nicht, dass die Griechen Sie mit Hitlerbart darstellen.
„Memento moriendum esse!“ Das sagten dem siegreichen Imperator im alten Rom angeblich die Sklaven von hinten ins Ohr, die ihm während des Triumphzuges den Kranz hielten. Wer erinnert Sie auf dem Gipfel Ihrer Macht an Ihre Vergänglichkeit? Denn mit der Macht kommt ja die Verblendung. Von Ihnen wird der Satz zitiert: „Ich stehe ziemlich allein in der EU. Aber das ist mir egal, ich habe recht.“ Der Satz macht Angst.
Sie haben das Treffen mit dem griechischen Premier Alexis Tsipras nicht für die große Geste der Versöhnung mit dem griechischen Volk genutzt, die wir jetzt so dringend gebraucht hätten. Und Sie haben es auch nicht genutzt, um einen flammenden Appell ans europäische Bewusstsein zu richten. Der ganze Kontinent schaut auf Sie – und Sie sagen: „Diese Europäische Union ist so eine kostbare Sache, dass man alle Anstrengung dafür einsetzen muss, um sie auch gut weiterzuentwickeln.“
Sie haben sich in Ihrer politischen Laufbahn mehr als anpassungsfähig gezeigt. Seien Sie es noch einmal – und wenn es nicht für Europa ist, dann für Sie selbst. Wie sieht Ihre Zukunft aus? Sie sind drei Mal zur Bundeskanzlerin gewählt worden. Selbst Sigmar Gabriel glaubt, dass Sie ein viertes Mal gewählt werden. Aber was bedeutet das im Vergleich zu einem Ehrenplatz in den Geschichtsbüchern? Eines ist sicher: Beides werden Sie nicht bekommen. So ehrlich muss man sein: wenn Sie mutig Europas Zukunft in die Hand nehmen, werden die Deutschen Sie abwählen. Na und?
Stellen Sie sich vor, Sie wären die Mutter der europäischen Einheit, so, wie Kohl der Vater der deutschen Einheit war! Der Platz im europäischen Pantheon wäre Ihnen sicher. Fassen Sie sich ein Herz. Legen Sie den Grundstein für die Vereinigten Staaten von Europa.
Quelle:http://www.spiegel.de/politik/deutschland/augstein-offener-brief-an-kanzlerin-merkel-a-1025478.html
Liebe Maria Tsoukis,
Ihr interessanter Korfu-Bericht zusammen mit Andrea Grießmann war von bester unaufgeregter Qualität und immer die Neugier befriedigend – bis dato hatte ich durch die Querelen mit der neuen griechischen Regierung das Gefühl, als Deutscher in diesem wunderschönen Land nicht mehr als Gast erwünscht zu sein. Das wird sich bei meinen zukünftigen Reiseplänen ins Positive verkehren.
MIT BESTEN GRÜßEN