Wie kommt eigentlich die Feige an den Baum?

Feige

Endlich sind sie reif die köstlichen, süßen, saftigen Feigen! Seit Wochen beobachte ich das Wachstum der kleinen Kugeln, überprüfe täglich ihr Wachstum und ihre Nachgiebigkeit auf meinen Fingerdruck. Jetzt reifen sie alle auf einmal, platzen auf und wollen gepflückt werden. Feigen sind wohl unbestritten die markanteste Frucht des griechischen Spätsommers.

Moment mal: Frucht? Sind Feigen eigentlich wirklich Früchte? Wie kommen sie überhaupt an den Baum? Früchte entwickeln sich doch normalerweise aus einer Blüte…!? An meinen Feigenbäumen habe ich allerdings noch nie eine Blüte gesehen und trotzdem reifen Jahr für Jahr –manchmal sogar zwei Generationen- hunderte von Feigen.

Um diesen Fragen auf die Spur zu kommen, habe ich zunächst einmal bei Wikipedia recherchiert und las:
„Die achselständig und einzeln stehenden Blütenstände sind bei einem Durchmesser von 3 bis 5 cm, birnenförmig beziehungsweise flaschenförmig. Sie entstehen, indem die Blütenstandsachse krugförmig nach oben wächst und mehrere hundert Einzelblüten dabei nach innen verlagert werden. An der Spitze des Blütenstandes bleibt eine enge, konkave Öffnung (Ostiolum) frei, die durch schuppenartige, eiförmige Hochblätter fast völlig geschlossen ist.“

Aha. Es gibt also Blüten. Allerdings sitzen diese anscheinend im Inneren der Feige – gut geschützt und fast völlig geschlossen. Tatsächlich: Wenn man eine unreife Feige aufschneidet, erkennt kleine Fädchen, die die Frucht auskleiden und das sind die Blüten. Reif werden diese jetzt als süßes Fruchtfleisch gegessen.

Nun liegt aber noch die Frage auf der Hand, wie es mit der Bestäubung dieser nach innen gekehrten Blüten vor sich geht.
Hier liefert das Internet Hinweise auf eine ungewöhnlich komplizierte Symbiose zwischen den beiden Feigensorten „ Ess- oder Haus-Feige“ und „Bocks-Feige“ sowie der zwei bis drei Millimeter großen Feigenwespe. Während die Bocks-Feige männliche und weibliche Blüten besitzt hat die Ess-Feige nur weibliche die mithilfe der Feigenwespen durch die Pollen der Bocks-Feige bestäubt werden müssen.

Über diesen Prozess und über den Unterschied zwischen der wenig süßen „wilden“ Bocks-Feige und der kultivierten, sehr süßen Ess-Feige hat sich schon Rudolf Steiner in seinem Werk „Mensch und Welt – Das Wirken des Geistes in der Natur – Über das Wesen der Bienen“ Gedanken gemacht. Er schreibt:

„In südlicheren Gegenden, namentlich in Griechenland, spielt die Feigenzucht eine große Rolle. Nun gibt es sogenannte wilde Feigen, die zwar etwas süß sind, aber sie sind so, daß manche Menschen eine noch leckerere Zunge haben und noch süßere Feigen haben möchten, als die wilden Feigen eben Süßigkeit haben. Was tun nun diese Leute?

Nun denken Sie sich, da wäre ein wilder Feigenbaum. Dieser wilde Feigenbaum, der wird ganz besonders geliebt von einer bestimmten Wespenart, die da ihre Eier drinnen ablegt (siehe Zeichnung). Stellen wir uns also vor: Da wäre der wilde Feigenbaum, auf dem Ast eine solche wilde Feige, in die die Wespe ihr Ei ablegt.
Feige1

Nun, der Feigenzüchter, der ist eigentlich in seiner Art ein ganz schlauer Kerl. Er läßt diese Wespen in den wilden Feigenbäumen, die er besonders dazu anzüchtet, ihre Eier ablegen. Nachher nimmt der Bursche zwei solche Feigen zunächst herunter in dem Zeitpunkte, wo die Wespenlarven drinnen noch nicht bis zu Ende sind, so daß die Wespen also noch lange nicht reif zum Ausschlüpfen sind, aber eine Zeit ihrer Entwickelung schon durchgemacht haben. Nun, was tut er weiter? Er nimmt einen Binsenhalm und bindet diese zwei Feigen, in denen er diese Wespenlarven nicht ganz zur Reife hat kommen lassen, mit diesem Binsenhalm zusammen, so daß sie halten. Jetzt geht er an einen Feigenbaum, bei dem er die Feigen veredeln will und hängt die zwei Feigen, die er mit dem Binsenhalm verbunden hat und worin die Wespen genistet haben, ihre Eier abgelegt haben, an den Feigenbaum an, den er veredeln will. Was geschieht nun?
Feige2

Da geschieht folgendes: Die Wespen, die spüren das, weil diese Feigen, die er abgerissen hat, die nicht mehr auf dem Feigenbaum darauf sind, jetzt trocken werden; die trocknen aus, die haben nicht mehr den Saft vom Baum. Das spürt innerlich schon die noch gar nicht entwickelte Wespe. Selbst das Ei spürt das. Und die Folge davon ist, daß sich die Wespe mit ihrem Auskriechen furchtbar beeilt. So daß also der Züchter im Frühling anfängt, diese Prozedur zu machen: Er läßt zuerst die Wespe ihre Eier ablegen. Flugs, wenn es so zum Mai kommt, nimmt er diese zwei Feigen herunter und macht damit diese Prozedur. Donnerwetter, denkt sich das Tier, das da drinnen ist, jetzt muß ich mich beeilen! Jetzt kommt ja schon die Zeit, wo die Feige wieder trocken wird! – Das Tier beeilt sich furchtbar, schlüpft viel früher aus, als es sonst ausgeschlüpft wäre. Wäre die Feige hängengeblieben, wäre es im Spätsommer ausgeschlüpft. So muß es im Frühsommer ausschlüpfen. Die Folge aber ist, daß das Tier, weil es im Frühsommer ausschlüpft, eine zweite Brut machen muß, und es legt noch im Sommer Eier, während es sonst erst im Frühjahr gelegt hätte.
Mit diesen Eiern geht die Wespe jetzt an die Feigen, die an dem Baume sind, der veredelt werden soll. Dahinein legt sie die Eier, Späteier, die nicht bis zu ihrer Reife kommen, sich nur bis zu einem gewissen Grade entwickeln. Und was geschieht dadurch? Diese Feigen, in die da die zweite Brut hineingelegt ist, die werden doppelt so süß als die anderen wilden Feigen! Das nennt man die Veredelung der Feigen, daß sie doppelt so süß werden.“ (Lit.: GA 351, S 206ff)

Übrigens sind Ess-Feigen tatsächlich die ältesten Kulturpflanzen. Bislang hatten Experten vermutet, der Anbau von Getreide vor etwa 10.500 Jahren markiere den Beginn der Landwirtschaft. Ofer Bar-Yosef von der Harvard-Universität in Cambridge und seine Kollegen haben nun jedoch festgestellt, dass Feigen im Westjordanland bereits vor 11.400 Jahren gezüchtet worden sein müssen.

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