Erikoussa ist die nördlichste der diaponischen Inseln im Ionischen Meer, nur 25 km, also knapp eine Stunde von der Nordwestküste Korfus entfernt. Das etwa 2 x2 km kleine Eiland wird im Sommer gern als Ziel für einen Tagesauflug von italienischen Seglern genutzt. Die Strände sind lang, das Wasser glasklar. Erika wächst überall und hat der Insel ihren Namen gegeben. Mittlerweile verfügt Erikoussa auch über ein paar Hotels, die im Sommer geöffnet sind.
Im Winter herrscht Ruhe in dem abgeschiedenen Kleinod. Knapp 60 Einwohner leben noch dort, es gibt eine Grundschule mit 4 Kindern, einen Polizisten, einen kleinen Laden. Benzin, Medikamente und Lebensmittel werden – wenn das Wetter es zulässt- per Schiff geliefert. Die meisten der ehemaligen Einwohner sind mittlerweile asusgewandert – hauptsächlich in die USA.
Ende diesen Monats wird jedoch etwas mehr los sein als sonst. Am 26. Juni erhält Erikoussa nämlich den Raoul Wallenberg Award(1) für beispiellose Solidarität ihrer Einwohner gegenüber einer jüdischen Familie während der düsteren Jahre der deutschen Besatzung. Gleichzeitig wird ein jüdischer Verein aus New York die Insel für ihren Mut und ihre moralische Stärke ehren.
Was ist die Geschichte, die sich hinter dieser unscheinbaren Insel verbirgt?
Die meisten der 2000 auf Korfu lebenden Juden wurden während des zweiten Weltkriegs nach Auschwitz deportiert, von wo fast niemand zurückkehrte. Wenige schafften es, zu fliehen, unter ihnen ein Schneider mit Namen Savvas. Er gelangte mit seinen drei Töchtern und einem Pflegekind per Boot nach Erikoussa. Hier erhoffte sich die Familie Rettung, denn es gab auf der Insel keinen festen Stützpunkt der Deutschen. Ihre Anwesenheit war schon bald ein offenes Geheimnis zwischen den Inselbewohnern. Die Mitglieder der kleinen jüdischen Familie wohnten bei einheimischen Familien, wurden dort versorgt, mit den Inseltrachten bekleidet und wurden nur versteckt, wenn die Besatzer Erkundungsfahrten nach Erikoussa unternahmen. Die Menschen riskierten damals ihr eigenes Leben, um das der Familie Savvas zu retten. Denn der grausame Befehl lautete, dass getötet werde, wer versuchte, einen Juden zu verstecken.
Doch niemand hat jemals etwas verraten und so überlebten der Schneider und die vier Mädchen. Der Vater starb nach dem Krieg auf Erikoussa und wurde dort begraben. Jahre später wurden seine Gebeine von Verwandten abgeholt. Zwei seiner Töchter hielten den Kontakt zu Erikoussa, die anderen beiden verließen die Insel und versuchten, ihre Geschichte zu vergessen. Und so geriet die Familie Savvas nach und nach in Vergessenheit, genauso wie die mutigen Menschen, die Ihnen geholfen hatten.
Bis die griechisch-amerikanische Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin Yvette Manesis, deren Großmutter mit der Familie Savvas befreundet war, sie wieder aufrollte. Sie hat die Erinnerungen ihrer Großmutter in ihrem Buch „Das Flüstern der Zypressen“ festgehalten, das mittlerweile in 14 Sprachen übersetzt worden ist.
(1) Der Raoul Wallenberg Award wird an Personen, Organisationen oder Institutionen vergeben, die außergewöhnliche Beiträge im Bereich der Menschenrechte und der Überwindung menschlichen Leides geleistet haben. Der Preis ist benannt nach Raoul Wallenberg, der als schwedischer Diplomat in Budapest von 1944 bis 1945 Tausende von Juden vor der Deportation rettete.